Thursday, October 06, 2005

Fragen zu Maria Stuart


Um dieses Drama zu verstehen, muss man schon einiges wissen über die Geschichte und es ist eigentlich erstaunlich, wie sehr sich Schiller darauf verlässt, dass seine Zuschauer/innen sich vergegenwärtigen können, welche historischen Ereignisse den Hintergrund bilden. Natürlich war und ist das Theaterpublikum nicht durchweg gebildet und es muss auch keine Abiprüfung machen, wenn es die Stücke von Schiller verstehen will, aber einiges muss man schon wissen, jedenfalls in ganz groben Zügen.

1.
Das Stück spielt im Zeitalter der Glaubenskriege und der Gegensatz von Protestantismus und Katholizismus ist in diesem Stück so allgegenwärtig wie unversöhnlich.
2.
Elisabeth, die Tochter von Heinrich VIII, ist aus einer Verbindung hervorgegangen, die im katholischen Sinne keine gültige Ehe war, weil die Scheidung von seiner ersten Frau von der katholischen kirchlichen Autorität nicht anerkannt wurde und er also deshalb nicht neu heiraten konnte. Sein Ausweg aus dieser Situation war, dass er England protestantisch machte und die anglikanische Kirche gründete, die dann ihrerseits die Scheidung prinzipiell für alle erlaubte.
http://www.de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_VIII._(England)

Heinrich VIII ist ja bekannt dafür, dass er mehrere Frauen hatte, mit denen er nicht eben zartfühlend umging: die Mutter von Elisabeth, Anne Boylen, ließ er jedenfalls hinrichten, andere seiner sechs Frauen kamen dem durch einen passenden Tod zuvor.


3.
Im Zuge der Umwandlung der katholischen Kirche in die Kirche von England wurden alle Klöster im Königreich aufgelöst, der Landbesitz ging praktischer Weise in den Besitz der Krone über, die Klöster und Klosterkirchen wurden systematisch zerstört, inklusive der heiligen Kunstwerke. Die Mönche und Nonnen wurden verjagt und mussten zusehen, wo sie blieben – in die Klöster konnten sie ja nicht mehr zurück. Wer heute durch England reist, findet noch an vielen Orten die Reste dieser mutwillig zerstörten großen Abteien und man kann sich heute noch mit Abscheu vor einem solchen Akt der Barbarei abwenden. Es versteht sich von selbst, dass der Protestantismus, dem Heinrich auf diese Weise zum Sieg verholfen hatte, nicht bei allen Engländern beliebt war, viele wünschten sich die alte Zeit und den alten Glauben zurück.



4.Maria Stuart wurde von vielen Menschen als die rechtmäßige Thronerbin angesehen und ihr Anspruch ist eigentlich auch unbestreitbar, wenn man die Rechtsbeugung des Heinrich Nummer 8 nicht für Recht anerkennen will; wie dann ja auch nach dem Tod Elisabeths der Sohn von Maria Stuart den Thron bestieg. Allerdings war das Leben dieser Königin von Frankreich und später von Schottland zu gewissen Zeiten nicht eben tugendhaft. Es ist auch im Prinzip nicht zu bestreiten, dass sie, um ihren Anspruch auf den englischen Thron durchzusetzen, zu fast allen Mitteln griff.
Zumal sie sich durch die Gefangennahme ins Unrecht gesetzt sah.
Hier der Blick aus Bolton Castle, North Yorkshire, einer Burg, auf der sie ein Jahr lang gefangen war:




So, wer nun aber noch mehr verstehen will, der versuche doch mal die folgenden Fragen zu beantworten oder die eigenen Lösungen mit diesen Lösungen zu vergleichen








Die Lösungen zu den Fragen:
1. Was bedeutet dies: „und weiß ich, ob nicht eine schnelle Hand des Kummers langsames Geschäft beschleunigt?“ (Z.197)
Maria spielt hier auf den (später sich bewahrheitenden)Verdacht an, sie könnte ermordet werden. Der Ausdruck „eine schnelle Hand“ ist ein stellvertretender Ausdruck für „die schnelle Hand eines Meuchelmörders“ Ausdrücke dieser Art, in denen ein Teil für das ganze steht, nennt man Metonymie. Beachte auch den Gegensatz „schnelle Hand“ „langsamer Kummer“
2. Maria sagt: „Weiß ich doch, was Englands Königin wagen darf zu tun?“ (Z. 245 Ende zweiter Auftritt)
Was darf Englands Königin zum Beispiel nicht wagen zu tun, nach Marias Einschätzung?
Sie darf es nicht wagen, das vom Parlament ausgesprochene Urteil zu unterzeichnen und es vollstrecken zu lassen. Das meint Maria jedenfalls – und wir wissen, dass sie sich täuscht. Die Vorstellung, dass eine Königin eine andere ermorden lässt (oder ein König einen anderen) ist allen Menschen in dieser Zeit völlig normal, aber dass eine Königin mit dem Anschein des Rechtes, das aus einem Parlament kommt, sich über eine andere stellt, wäre neu in der Geschichte und verletzt, nach Maria Einschätzung, die Majestät aller Königinnen und Könige; diese Majestätsverletzung darf Elisabeth nicht wagen, denn damit würde sie ihre eigene Majestät beschädigen.

3. Es ist soviel von einem Oheim die Rede, was ist ein Oheim ? Wer ist der Oheim Mortimers, wer ist der Oheim Marias, von dem am Beginn des 6. Auftritts die Rede ist?
„Oheim“ ist die deutsche Entsprechung zu dem aus dem Französischen kommenden Wort „Onkel“, seine Kinder nennt man „Vetter“ und „Base“. Wie heißt die Tante? "Muhme".
Der Onkel Mortimers ist natürlich Paulet und der Onkel Marias ist der Schreiber des Briefes der Cardinal de Guise, Marias Mutter ist die Schwester dieses Kirchenürsten, der zu den reichsten und mächtigsten Frankreichs gehörte – deshalb konnte Maria auch an den französischen Thronfolger verheiratet werden.

4. Warum ist der Tag, mit dem das Drama anfängt, ein besonderer Tag für Maria Stuart
(vgl. 4. Auftritt)
Es ist der Jahrestag, an dem sie zuließ, dass ihr Gatte Darnley durch ihren neuen Liebhaber, den sie dann heiratete, ermordet wurde. Zwar war er schon krank und litt an der Geschlechtskrankheit Syphilis, aber es war trotzdem nicht fein, ihm die Kehle umzudrehen, ihn zu erwürgen und das Haus, in dem er lebte, in die Luft zu sprengen. Das tat man wahrscheinlich, um das Verbrechen zu vertuschen, hatte aber dabei übersehen, dass eine Explosion die Dinge auseinander treibt und nicht zerstört und so fand man die Leiche des toten Darnley denn auch erwürgt im Garten.

5. „schickt keines Messdieners Glocke, kein Hochwürdiges in Priesters Hand zur Gruft (Z. 289) auf was beziehen sich die Ausdrücke „Glocke“ und „Hochwürdiges“?
Der Höhepunkt im katholischen Gottesdienst ist die Wandlung der Hostie, des geweihten Brotes des heiligen Abendmahls, in „den Leib Christi“. Fromme Katholiken glauben daran, dass diese Hostie in dem Augenblick des Gottesdienstes wirklich und tatsächlich, der Leib Gottes ist, nicht nur symbolisch; darum das „Hochwürdige“. Diese nur metaphysisch (übersinnlich, außerweltlich) zu verstehende Wandlung wird im Gottesdienst durch das Läuten einer kleinen Glocke angezeigt.

6. Auf wen und auf welchen Sachverhalt bezieht sich der Ausdruck (Z.299) „den Eure Liebe aus Dunkelheit, wie eine Götterhand, hervorgezogen“?
Darnley ist natürlich ein Adliger, sogar einer recht hohen Stufe, aber er ist natürlich keineswegs auf derselben Adelsstufe wie der erste Mann Marias.

7. Was heißt: „Euren König wollt er spielen?“ (Z.316)
Darnley, der sozusagen der Prinz Philipp der Maria Stuart war, konnte sich mit dieser eher dekorative Rolle nicht zufrieden geben und strebte selbst Königswürde und Herrschaft an.

8. Wer ist „Rizzio“?
Ja, das wisst ihr, er ist der, den Darnley vor den Augen seiner Frau ermorden ließ. War das nötig? Was war an diesem Rizzio, dass man ihn töten musste.
Wie der Name sagt, war Rizzio italienischer Herkunft und war zur wichtigsten Bezugsperson Marias geworden. Man muss sich nämlich vorstellen: Maria verlässt im Alter von 5 Jahren Schottland und wird in Frankreich erzogen zu einer Rolle als Königin. Maria lernt nicht nur sehr schnell und sehr perfekt Französisch, Italienisch, Latein und Griechisch, sie ist auch musikalisch und dichterisch sehr begabt und sehr interessiert an allen schönen Dingen der Kunst, die zu dieser Zeit vornehmlich aus Italien kam. Die Mutter des Nachfolgers ihres Mannes François II war Italienerin, nämlich die berühmte und berüchtigte Maria de Medici (die den Mord an den französischen Protestanten, den Hugenotten in der Bartholomäusnacht zu verantworten hatte) Diese italienisch-französische Kultur vermisste Maria in Schottland natürlich sehr schmerzlich, die Adligen um sie herum waren nicht sehr kultiviert, verstanden nichts von Sprachen, Dichtung und Musik sondern aßen Hägis und tranken viel und übten sich in Kraftsport und Männerintrigen. Wenn sie den Sänger Rizzio singen hörten, „ging ihnen das Messer in der Tasche auf“ – und dieser Mann hatte (wahrscheinlich als einziger) das Vertrauen der König, ein Ausländer und Schlappschwanz. Grund genug, ihn umzubringen oder?

9. Wie erklärt sich Kennedy, dass Maria Stuart dem „unglückseligen Bothwell“ verfiel?
Wie sieht Maria Stuart das selbst?

Wenn Darnley schon nicht sehr kultiviert war, dann war es dieser Bothwell um so weniger, aber er versprach Stärke und unbezweifelbare männliche Entschiedenheit und Bedenkenlosigkeit. Kennedy kann sich nicht vorstellen, dass ihre kultivierte Lady von sich aus diesen Kerl attraktiv finden konnte, für sie ist klar, dass Bothwell durch Hexenkünste einen bösen Zauber auf Maria ausgeübt hat.
Maria erkennt im Nachhinein deutlich, dass sie (wahrscheinlich unter dem Eindruck von ihrem Mann Darnley verraten worden zu sein) sich zu dieser Zeit sehr schwach fühlte, allein gelassen ohne wirkliche Freunde, und Bothwell war ein Kerl, Abenteurer, weltläufiger aber auch skrupelloser, waffenkundiger Mann.(s.unten)

10. Wie lautet der volle Name für „Bothwell“
Wer englisch lesen kann findet hier ausführliche Informationen
http://www.rampantscotland.com/famous/blfambothwell.htm









Die Antwort lautet James Hepburn IV Earl of Bothwell. Obwohl er selbst Protestant war, diente er schon Marias Mutter als Botschafter in Frankreich und war auch vom Tage der Ankunft in Schottlands Marias Berater. Nach dem letzten verlorenen Kampf für Maria floh er über die Orkneys, zu deren Herzog er kurz vorher ernannt worden war, nach Norwegen, um dort eine neues Heer für Maria zusammenzustellen, er wurde aber nach Dänemark ausgeliefert, wo er vor einigen Jahren eine junge Frau aus sehr gutem Hause und mit reichlicher Mitgift geheiratet und kurz danach in Holland hatte sitzen lassen. So einer!


11. Mit welchem rechtlichen Argument kann Kennedy (Z. 374/375) behaupten: „Nicht Elisabeth nicht Englands Parlament ist Euer Richter?“
In einer aristokratischen Gesellschaft, in der der Adel herrscht, können Adlige immer nur von ihresgleichen in Strafprozessen verurteilt werden (wenn es denn überhaupt zu Strafprozessen kam!) Herzöge können nicht von einem Gericht verurteilt werden, das aus Grafen besteht und so können Könige auch nur von einem Gericht verurteilt werden, das potentiell aus Königen oder jedenfalls Adligen, die Königen ebenbürtig (von gleicher hoher Geburt=ebenbürtig) sind. Das Gericht, das das Todesurteil über Maria sprach, war keines der „peers“, die englische entsprechung zu diesem Wort.

12. Im sechsten Auftritt schildert Mortimer seine Wandlung zum Katholiken (z.410 bis 459)
Wie stellt er die protestantische Religion dar, wie die katholische? Gebe pro Konfession 3 Merkmale, die du kurz erläuterst.
Protestantismus:
1. Es gibt „dumpfe Predigtstuben“
Darin zeigt sich dass der Protestantismus auf die Predigt großen Wert legt, die auch in Häusern (nicht nur in Kirchen) praktiziert wird
2. auch das Buch, auf das sich dort alles bezieht ist eben nur ein „dumpfes Buch“ (Z.457) auch wenn es heilige Texte enthält.
3. „der Sinne Reiz, kein Abbild dulden sie“
die Puritaner verachten die bildliche Darstellung und die Schönheit der Kunst, die Religion soll sich auf daas Wort und nur auf das Wort (der Bibel) verlassen. Luther sagt: „scriptura, sola scriptura“)
4. es gibt kein „Oberhaupt der Kirche“ keinen Papst, keinen heiligen Vater (Papa >Pabst)
5. die Protestanten halten viele Traditionen und Lehren der Kirche für falsch.


Demgegenüber ist der katholische Glaube
1. nicht nur in den Räumen der Kirche, sondern auch in der Stadt und auf Wallfahrten durch eine menge von Gläubigen mit gleichen Ziel zu erfahren.
Z.420 Bekränzt war jedes Gottesbild...bis ergriff der Strom der glaubensvollen Menge
2. „grübelnde Vernunft“ leitet das „Herrz in die Irre“, die Augen des Menschen „müssen sehen, was sie glauben sollen“ (Z.477)
3. alles in der katholischen Kirche ist Prachtentfaltung zum Ruhme Gottes und seiner Kirche
„und der Gestalten Fülle verschwenderisch aus wand und Decke quoll“ (Z. 436)

4.&5. Z. 480: „ das Herz soll glauben, dass ein sichtbar Haupt der Kirche not tut, dass der Geist der Wahrheit geruht hat auf den Sitzungen der Väter“ Was die kirchliche Gemeinschaft seit Petrus unter Glauben verstanden hat, das soll auch die Wahrheit heute sein, Tradition ist wichtiger als moderne Rationalität. Und das Haupt der Kirche, die Nachfolger Petri (des Petrus) sollen diese Glaubenskontinuität sicht bar machen.

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